Ausstellungseröffnung vom 09.11.2018 - Redebeitrag und einleitende Gedanken zur Ausstellung
Ausstellungseröffnung vom 09.11.2018 - Redebeitrag und einleitende Gedanken zur Ausstellung
Liebe Schülerinnen und Schüler des
Wahlkurs Erasmus+ und des P-Seminars, liebe Eltern, die Sie mich im bisherigen
Verlauf des Erasmus+-Projekts schon auf so nette Weise unterstützt haben, liebe
Gäste des Leonhard-Wagner-Gymnasiums Schwabmünchen, sehr verehrter Herr Dr.
Fassl,
Ich darf sie heute zur Eröffnung
unserer Ausstellung zum Ersten Weltkrieg „To Hell and Back – Germany, France
and Italy at the end of the Great War“ begrüßen und freue mich, dass Sie sich am heutigen Vormittag Zeit genommen hat, bei
uns vorbeizuschauen.
I.
Es ist wirklich erstaunlich: wenn wir
uns die Entwicklungen des politischen Sommers 2018, aber auch die der letzten
Wochen seit der Wahl hier in Bayern noch einmal vor Augen führen, sprechen
viele von einer Zeitenwende. Eine Zeitenwende? Vielleicht werden spätere
Generationen dies so empfinden. Allerdings ist die heutige Zeitenwende doch sehr
klein, vergleicht man sie mit derjenigen, die heute exakt vor 100 Jahren am
Vormittag des 9. November 1918 in Deutschland und in Europa stattfand. Deswegen
ist der 9. November ein sehr geeignetes Datum, natürlich auch wegen dessen
Folgewirkungen weit bis in unsere Gegenwart hinein, ein solch ein
Ausstellungsprojekt beginnen zu lassen.
Warum ist der 9. November so wichtig für die jüngere deutsche Geschichte?
Ich habe ihnen ein Tondokument aus
jener Zeit mitgebracht: wahrscheinlich eine der berühmtesten Reden aus der
Frühzeit des 20. Jahrhunderts. Sprecher ist der SPD-Politiker Philipp
Scheidemann, der am 9.11 vom Reichstag in Berlin folgende Ansprache hält:
Wenn ich mit Schülern der neunten
Klasse diese Rede im Unterricht analysiere, dann wird ihnen schnell klar, dass
wir uns hier tatsächlich an einer Epochenwende befinden: es ist nicht nur die
Tatsache, dass Philipp Scheidemann eine demokratische Republik, ausruft. An
jenem 9.11.1918 beerdigt er gleichzeitig das alte deutsche Kaiserreich: eine
Monarchie, die mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 1806, als Napoleon dem
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation den Todesstoß versetzte, und 1871
über fast 1000 Jahre bestanden hatte. Hitler und seine Nazi-Schergen nahmen mit
ihrem Begriff vom „1000-jährigen Reich“ genau auf diesen Aspekt Bezug.
Mit der Ausrufung der Republik ist
nicht nur das Ende der Monarchie gekommen. 2 Tage später wird Matthias
Erzberger von der Zentrumspartei in Nordfrankreich den Waffenstillstand
zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten des Ersten Weltkriegs unterzeichnen.
Erzberger selbst wird für diese Unterschrift bitter bezahlen: 1921 wird er deswegen
von rechtsextremen Kräften ermordet.
II.
Das Ende des Ersten Weltkriegs
markiert ebenfalls das Ende der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der
US-Historiker und Diplomat George F. Kennan den Krieg einmal zutreffend bezeichnete:
Schätzungen besagen, dass ungefähr 17 Millionen Menschen ihr Leben durch den
Ersten Weltkrieg verloren; insgesamt standen zwischen 1914 und 1918 annähernd
70 Millionen Menschen in Europa und in der ganzen Welt unter Waffen.
Begonnen hatte dieser Krieg mit der
auf dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand
in Sarajevo am 28. Juni 1914 heraufziehenden „Julikrise“.
Wie konnte dieser Krieg geschehen?
Die Frage nach den Entstehungsgründen
und der Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg ist eine der kontroversesten
historischen Debatten der letzten 100 Jahre: nicht zuletzt deswegen, weil im
Friedensvertrag von Versailles dem Deutschen Reich die Alleinschuld am Ersten
Weltkrieg zugewiesen wurde. Ich bin fern davon, in Anlehnung an manchen aktuellen
Historiker diese Schuld des Deutschen Reiches am Kriegsbeginn zu relativieren.
Es ist beispielsweise eine historische Tatsache, dass die deutsche
Reichsführung Österreich-Ungarn einen Blankoscheck für den Krieg gegen Serbien
ausgestellt hatte. Allerdings halte ich es für dringend notwendig, die
Atmosphäre der unmittelbaren Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu erfassen, zu
erspüren, um sich ein Bild davon zu machen, wie die Menschen die Frühzeit des
20. Jahrhunderts erlebten.
Als Historiker ist man oft sehr
leicht versucht - im Nachhinein zu wissen, was die Zeitgenossen nicht wissen
konnten. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ein paar der Zeitgenossen des
frühen 20. Jahrhunderts zu Wort kommen lassen. Diese Zeitgenossen sprechen zu
uns mithilfe eines bekannten deutschen Schriftstellers, Florian Illies, der in
seinem Buch „1913 - Was ich unbedingt
noch erzählen wollte“ auf sehr spannende Art und Weise ein Mosaikbild der
damaligen Zeit entwickelt hat.
Hören Sie selbst:
Schüler des P-Seminars: Auszüge aus „1913 - Was ich unbedingt noch
erzählen wollte“
Ohne jetzt auf die Biografien der
gerade genannten Personen näher einzugehen, ist festzuhalten, dass das Europa
des frühen 20. Jahrhunderts ein Europa des Aufbruchs ist, aber auch eines der
Nervosität. Ein Europa der beschleunigten Industrialisierung und der
unglaublichen technologischen Modernisierung, aber auch ein Europa, das die
Welt beherrscht und das durch die Gedankenwelt von Rassismus, Imperialismus und
Kolonialismus in dieser Weltherrschaft das legitime Recht der weißen Rasse sieht.
Gleichzeitig ist dieses Europa zutiefst verunsichert: die technologischen
Errungenschaften des vorherigen Jahrhunderts, hervorgerufen durch eine Vielzahl
an Erfindungen, haben ein Klima ökonomisch effizienten Denkens, aber auch ein
Klima der sozialen Gegensätze erschaffen. Die Krankheit Neurasthenie, das
heutige Burnout, wird zum ersten Mal in größerer Dimension von den Ärzten
diagnostiziert. Die alten Gewissheiten, die alten Autoritäten, werden spätestens
seit der Französischen Revolution in Frage gestellt: nicht nur in Deutschland,
wo der Kaiser zwar immer noch verehrt, gleichzeitig aber auch als einfältiger
Dynast, Versager und Witzfigur verlacht wird.
Als der Erste Weltkrieg auch mit dem
Segen dieses an Narzissmus krankenden Monarchen ausbricht, wird er von nicht
wenigen als reinigendes Gewitter angesehen, das dieses Europa von seinem
unmoralischen, sündhaften und hedonistischen Lebenswandel befreien soll. So sieht
dies auch der berühmte Münchener Maler Franz Marc, der wie viele andere junge
Männer seiner Generation begeistert in den Krieg zieht, mit diesem seine
Männlichkeit und seinen Idealismus beweisen will, um keine zwei Jahre später
vollständig desillusioniert vom Kriegsschauplatz in Verdun von den unsäglichen
Strapazen und Kriegsgräueln zu berichten. Franz Marc überlebte die „Hölle von
Verdun“ nicht: keinen Monat nach Beginn der deutschen Offensive fällt er im
März 1916 durch Granatsplitter - verheizt wie eine gesamte Generation junger
Männer, die ihr Leben für eine Aufwallung nationalen Stolzes und europäischer
Hybris lassen mussten.
Von der Frage nach der Kriegsschuld
über den technologischen Fortschritt über die Verunsicherung, die diese Zeit
mit sich brachte, finden sich, so glaube ich zumindest, viele dieser gerade
genannten Ideen in unserer Ausstellung wieder und das eben nicht aus einer rein
deutschen, sondern eben aus einer europäischen Perspektive.
III.
Wer von den älteren hier, hat bei der
Beschreibung der Entwicklungen vor und während des Jahres 1913 nicht auch
zwischendurch mal an die heutige Zeit gedacht? An die dramatische Beschleunigung
des Lebenswandels im 21. Jahrhundert. An die technischen Errungenschaften, die auch
heutzutage zu einer völligen Veränderung des gesellschaftlichen, kulturellen
und politischen Lebens in Europa führen, und dadurch auch massive Verunsicherung
und Ängste auslösen. An nationalistische und extremistische Redebeiträge, die
selbst bei uns in Deutschland nach zwei Generationen der Vernunft und Mäßigung
wieder die politische Debattenkultur beeinflussen.
Als ich vor zwei Jahren dieses
Projekt vorbereitete, war MEIN wichtigster Gedanke nicht die historische
Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs, obwohl ich selbst in den letzten 15 Monaten
sehr viel Neues über diesen Krieg dazugelernt habe, in der Vorbereitung sogar
zusammen mit meiner Familie die Möglichkeit hatte, Verdun kennenzulernen. Nein,
es war etwas viel Wichtigeres.
Ich wollte mit meinen Schülern
gemeinsam und zusammen mit unseren neu hinzugewonnenen italienischen und
französischen Freunden, die mit uns diese Ausstellung vorbereitet haben, unsere
Kinder impfen gegen die Krankheit des Nationalismus. Und ich wollte ihnen
vermitteln, wie wichtig Demokratie und Frieden als Basis unseres Zusammenlebens
in ganz Europa immer noch und immer wieder neu ist: dass es sich lohnt dafür zu
streiten, dafür zu arbeiten und dafür Freundschaften zu pflegen.
Dem entsprechend ist das auch keine
hochprofessionell gestaltete historische Ausstellung: sie enthält manch einen
sprachlichen Fehler - nicht immer nur von den deutschen Schülern, sondern
durchaus auch von französischen, italienischen und vielleicht auch von den deutschen
Lehrern.
Aber: das ist auch nicht das
entscheidende. Wir haben in der Vorbereitung dieser Ausstellung die
freundschaftlichen Bande in Europa gehegt und gepflegt. Und wenn die Botschaft
des „Nie wieder“s - nie wieder solche Kriege in Europa – verbunden worden ist
mit dem Verständnis, dass in anderen Ländern andere Sitten herrschen und dass
es uns gut tut, diese zu respektieren, vielleicht sogar wertzuschätzen und an ihnen
Spaß und Freude zu haben, dann hat dieses Projekt sein wichtigstes Ziel schon
längst erreicht.
Trotzdem würden wir alle - der
Wahlkurs Erasmus+, das P-Seminar Geschichte, meine Kollegen Frau Bressau, Frau
Mehler und Herr Donat, die mich über viele Monate unterstützt haben und denen
ich ganz herzlich Danke sagen möchte, und meine Wenigkeit – wir alle würden uns
sehr freuen, wenn diese Ausstellung ihr Wohlgefallen findet, Sie mit der
jüngere Generation zu Diskussionen und spannenden Gesprächen anregt und
vielleicht auch dazu verleitet, die eine oder andere Lücke in Ihrer
historischen Bildung zu schließen. In diesem Sinne freue ich mich die
Ausstellung zu eröffnen, gebe davor aber das Wort weiter an einen wirklichen
Experten für das Fach Geschichte, den Bezirksheimatpfleger Herrn Dr. Fassl, dem
ich ganz besonders für sein Erscheinen am heutigen Tag Dank sagen möchte.
Frank Schweizer, 9.11.2018
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